Leute, so geht das doch nicht. Vor mehr als 15 Jahren ist die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) auch von Deutschland angenommen worden. Nun hat die UN zum zweiten Mal überprüft, wie weit Deutschland mit der Umsetzung der Vorgaben gekommen ist. Das Ergebnis sieht nicht gut aus. Im Vergleich zu anderen Ländern tut Deutschland immer noch nicht genug, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. „Dann wird’s Zeit, dass wenigstens in Hamburg mehr passiert“, haben sich die Gründer von ALIVE!KULTUR offensichtlich schon sehr viel früher gedacht. Ihr Ziel ist es, Barrieren im Kopf abzubauen und Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, das Kulturgeschehen in Hamburg aktiv mitzugestalten.
Kultur und Hilfe ist ein weites Feld
ALIVE!KULTUR e.V. ist ein gemeinnütziger Verein Kulturschaffender. Er ruft dazu auf, sich für Selbstbestimmung, Barrierefreiheit und eine inklusive Gesellschaft stark zu machen. Schon über 70 Clubs, Künstler:innen und Veranstalter:innen mit und ohne Behinderung sind Mitglieder:innen. Sie alle helfen, unsere Kultur generell durch Zusammenhalt zu stärken und das Überleben von Kulturschaffenden zu sichern. Wie das funktioniert, hat der Verein auch in Coronazeiten gezeigt. Mit Udo Lindenberg, Hugo Egon Balder und anderen wurden im Lockdown bezahlte Streams ermöglicht. Über sie kamen Straßenmusiker zu ihren Einnahmen.
Der Verein ist auch Veranstaltungspartner bei diversen Konzerten und Festivals. Für diese Events bucht er immer auch Künstler:innen und Bands mit Behinderung, die das Programm stets sehr bereichern. Seit Beginn des Ukrainekriegs hilft ALIVE!KULTUR auch den Vertriebenen, die in Hamburg gelandet sind. Man kümmert sich insbesondere um Kinder mit Behinderung.
Hamburger Künstler und Veranstalter bespielen die Erstaufnahmeunterkünfte oder nehmen Kinder und Familien von dort mit zu Konzerten. Musik, Kunst, Sport, Ausflüge in die Natur – alles ist Event, und möglichst viel wird gefördert. Sogar wenn die Flut an der Waterkant mal wieder zur Katastrophe wird, rückt ALIVE!KULTUR mobil mit an. Essen und Kleidung wird organisiert und verteilt, Beratung und Vermittlung in Hilfesysteme. Das ist eben der Vorteil, wenn man in der Hamburger Szene lebt und immer weiß, wen man anrufen muss.

„Dann machen wir das eben über Gastro“
Wer Menschen mit Behinderung in Lohn und Brot bringen will, braucht ziemlich viel Zeit und einen langen Atem. Wie eingangs erwähnt, ist das noch nicht weit verbreitet. Gut, dass ALIVE!KULTUR eine Abkürzung kennt. Man trommelt ein tolles inklusives Team zusammen und nennt es die Partyrollers. Und schon ist man in die Wertschöpfungskette des Eventbetriebs eingeklinkt.
Auch beim Knust2Go Festival im Hammer Park konnte man die Partyrollers dieses Jahr live in Action erleben. Da hatte es nämlich einen ganzen inklusiven Festivaltag organisiert. Das Team aus Menschen mit Behinderung wirkte bei allen Eventstationen mit und lieferte eine Glanzleistung ab. Gastro, Nachhaltigkeitsstand, Stage Management, Backstage und Security: Die Partyrollers hatten alles im Griff. Jung und Alt feierten ausgelassen bis spät in die Nacht zu Künstlern, die von ALIVE!KULTUR gebucht wurden.
Protesttage werden natürlich gefeiert
Seit mehr als drei Jahrzehnten findet am 5. Mai bundesweit der Aktionstag anlässlich des Europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung statt. Wenn man will, kann man das feiern. Wenn man allerdings meint, dass viel zu wenig passiert, plakatiert man das Datum in einen Protesttag um. Zu diesem Protesttag fordern viele Verbände, Organisationen und Aktivist:innen daher umfassende Barrierefreiheit, Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung sowie ihre Beteiligung an allen Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen. ALIVE!KULTUR steht selbstverständlich dahinter.
Dieses Jahr fand der Protesttag des Vereins in der Hamburger Kultkneipe „Zwick“ statt. In Kooperation mit der Aktion Mensch unter dem Motto „Viel vor für Inklusion! Selbstbestimmt leben – ohne Barrieren“ machte die inklusive Veranstaltung lautstark darauf aufmerksam, dass die UN-BRK endlich besser umgesetzt werden muss.

Mehr Empathie für den Einzelnen, bitte
Silke Schwing von der Haspa ist Projektpartnerin von ALIVE!KULTUR. Sie weiß, wo es auch in Hamburg noch viel zu tun gibt in puncto gerechterer gesellschaftlicher Teilhabe. „Die Chancen zur Gleichberechtigung von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung sind alles andere als ausgereizt. Das betrifft ihre Beteiligung bei allen Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen. Auch barrierefreie Wege und Informationen zum Beispiel bei Ämtern und Behörden könnten weiter ausgebaut werden. Vieles muss in Leichter Sprache passieren. Besonders in der schulischen Bildung, der Beschäftigung in Werkstätten und der Unterbringung in großen stationären Wohneinrichtungen gibt es noch Nachholbedarf. Die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen muss generell noch viel besser gestärkt werden.“

Gemeinsam für die Zukunft unserer Stadt
Im Magazin „Hamburgs Zukunftsmacher“ stellen wir stellvertretend für viele weitere 19 Projekte aus unserer Region vor, die die Haspa zum Teil bereits seit Jahren fördert.
Text: Uwe Rehkop (rehkopftext)
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Wenn du dich für weitere starke Geschichten aus Hamburg interessierst, solltest du mal bei den anderen Zukunftsmachern vorbeischauen – wie den greenKIDS, der Welcome Werkstatt, dem Afrikanischen Bildungszentrum ARCA, dem Jugendzentrum Kiebitz oder der Silbersack Hood.