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Teilhabe: Pilotin für betagte Passagiere

Martini leben, drei Frauen an einer Rikscha im Park Florian Quandt

Ayla (51) engagiert sich für Senior:innen, von denen es viele nicht mehr vor die Tür schaffen. Die Haspa Eppendorf flankiert mit Geld und eigenen Aktionen.

Ayla von Wintzingerode ist stolze Pilotin. Zumindest in ihrem Ehrenamt. Ihre Passagiere: Größtenteils betagte Gäste, die es alleine kaum noch vor die Tür ihres Seniorenheims oder der eigenen Wohnung schaffen. Damit sie am Leben teilhaben können, engagiert sich die 51-Jährige beim Eppendorfer Quartiersnetzwerk „martini·erleben“ und fährt Senior:innen mit einer Rikscha spazieren. Dabei erlebt sie häufig rührende Situationen. Dick eingepackt in Decken mit einer Wärmeflasche im Schoss sitzen Gisela (90) und Käthe (92) in der Rikscha.

Mal raus kommen tut gut

Eine Fahrt durch den Park – für die Damen eine ganz besondere Abwechslung. Alleine einen Spaziergang machen können sie nicht mehr. „Ich bin schon dreimal mitgefahren. Es ist herrlich, die Stadt auf diese Weise noch erleben zu können“, sagt Gisela. Ayla lächelt sie an. Sie ist glücklich, den Seniorinnen eine Freude zu machen. Weiß sie doch, dass viele ihrer Gäste sonst nicht mehr rauskommen und der Alltag im Heim häufig geprägt ist von Einsamkeit. Selbst wenn regelmäßig die Familie vorbeischaue, seien die Tage oft endlos lang und eintönig.

Die Pilotin, wie die 25 ehrenamtlichen Rikscha-Fahrer:innen genannt werden, möchte etwas zurückgeben. Ayla ist dankbar. Als alleinerziehende Mutter von 2 Kindern hat sie in den vergangenen Jahren viel Unterstützung bekommen. „Sei es bei den Ämtern oder auch in der Schule.“ Vor 4 Jahren sah sie auf einem Plakat, dass ehrenamtliche Rikscha-Fahrer:innen gesucht werden. Seitdem fährt Ayla von Mai bis Ende Oktober jeden Freitag nach der Arbeit Bewohner:innen des Elim Seniorencentrums in Eppendorf spazieren.

Martini leben, drei Frauen an einer Rikscha fahren durch einen Park
Die Pilotin Ayla von Wintzingerode (51) fährt ihre Gäste Gisela (90, r.) und Käthe (92) in der Rikscha spazieren.

Da kommen Erinnerungen hoch

Meistens geht es über das Holthusenbad an die Alster. Für viele ein Ausflug, den sie meinen, noch nie gemacht zu haben. „Es ist egal, wie häufig wir die Strecke schon gefahren sind. Für viele Gäste ist es immer wieder das erste Mal. Sie können sich wegen ihrer Demenzerkrankung einfach nicht erinnern.“ Manchmal geht es aber auch in den Stadtpark, zum Rathaus, ins Eppendorfer Moor oder an die Elbe. Besonders am Wasser würden häufig Erinnerungen bei den Senior:innen aufkommen. „Eine Dame erzählte, dass sie früher immer an der Alster zur Arbeit geradelt ist. Anderthalb Stunden lang.“ Eine andere Frau berichtete unter Tränen, dass es genauso aussehe wie früher, als ihr Mann noch lebte und sie immer beim Segeln waren.

Die berührendste Ausfahrt hatte Ayla mit einer englischen Lady, die von ihrer Familie nach Deutschland geholt worden war und im Seniorenheim lebte. Sie machte eine Rikscha-Tour mit ihrem Enkel, den sie seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte. „Wie sie sich an diesen jungen Mann gekuschelt und die ganze Zeit munter geredet hat, das war wunderschön zu sehen.“ Auch die Tour mit einer 102-Jährigen wird Ayla nicht vergessen. Die Dame wollte unbedingt noch einmal das Haus in Pöseldorf sehen, in dem sie früher gelebt hatte. Doch wie die Straße hieß, das wusste sie nicht mehr. „Wir sind einfach losgefahren und sie hat mich geleitet. Irgendwann haben wir das Haus tatsächlich gefunden.“ Schwer gerührt stand die Seniorin vor der Tür und erzählte von ihrer Kindheit. Ein sehr besonderer Moment am Ende ihres Lebens. Kurz darauf verstarb die Dame.

Angebot wird immer weiter ausgebaut

Dass mittlerweile einige ihrer Gäste nicht mehr am Leben sind, damit kann Ayla umgehen. „Ich verbringe schöne Stunden mit den Menschen, aber so nah stehen wir uns nicht“, sagt die Architektin, die sich für ihr eigenes Alter wünscht, „dass dann auch jemand mit der Rikscha vorbeikommt und mich fährt.“ Und sie hofft, dass die Angebote für Senior:innen noch weiter ausgebaut werden. Ein Ziel, das „martini·erleben“ kontinuierlich verfolgt.

Martini erleben, 5 ältere Frauen sitzen an einem Tisch und stricken
Das Quartiersnetzwerk bietet etliche Angebote, wie das Handarbeitstreffen „Eppendorfer Masche“.

Das im März 2006 gegründete Quartiersnetzwerk von Eppendorfer Anwohner:innen und Institutionen setzt sich für ein nachbarschaftliches Miteinander ein. Insbesondere die gesellschaftliche Teilhabe von älteren Menschen steht dabei im Fokus. Neben dem Rikscha-Projekt gibt es unter anderem auch Angebote wie „Fit im Park“, Boule, Frauenfrühstück und ein Repair-Café, in dem einige der insgesamt mehr als 60 Ehrenamtlichen mit den Besucher:innen werkeln.

Zudem ist „martini·erleben“ Teil des neuen Netzwerks „Leben mit Demenz in Eppendorf“, bei dem Angebote für Betroffene und Angehörige entstehen. Besonders angesagt ist die neue „Disco 60+“, die einmal im Monat in den Räumen der Kunstklinik an der Martinistraße stattfindet. „Das Besondere an „martini·erleben“ ist, dass alle Angebote von engagierten Freiwilligen gestaltet werden. So leisten wir alle einen wertvollen Beitrag gegen Einsamkeit im eigenen Stadtteil – und bereiten nicht nur anderen schöne Momente, sondern bekommen dabei auch viel Gutes zurück“, sagt Susanne Holert-Retzlaff, Koordinatorin des Quartiersnetzwerks.

Martini erleben, eine Frau und ein Mann lächeln in die Kamera
Susanne Holert-Retzlaff, Koordinatorin des Quartiersnetzwerks, und Dennis Baade, Filialleiter Haspa Eppendorf, bei einer gemeinsamen Lesung.

Das Leben im Stadtteil voranbringen

Bessermacher Eine Aktion von MOPO und HASPA

Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung. Die Haspa Eppendorf kooperiert regelmäßig mit „martini·erleben“. Im Februar stand eine gemeinsame Lesung zum Thema „Leben mit Demenz“ auf dem Programm. Aktuell präsentiert sich der Rikscha-Service in der Nachbarschaftsfiliale. „Wir wollen, dass in Eppendorf immer etwas los ist und ergänzen uns dabei hervorragend“, so Dennis Baade. Der Haspa-Filialdirektor ist begeistert davon, wie das Quartiersnetzwerk ältere Menschen miteinbezieht. Auch in der Filiale werden Aktionen wie Hörtests, Schulungen zum Online-Banking oder Aufklärung der Polizei zum Thema Betrugsmaschen geboten.

„Solche Projekte bringen das generationsübergreifende Leben im Stadtteil voran“, so der Filialdirektor. „Martini·erleben“ bekomme auch finanzielle Unterstützung. Das Quartiersnetzwerk wünscht sich Sitzmöbel für den Außenbereich an der Martinistraße 44a, damit die Gäste auch draußen die Möglichkeit haben, zu verweilen. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung aus den Mitteln des Haspa-Lotteriesparens.

Text: Wiebke Bromberg

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