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Mitra verschenkt Momente

Konzerte, Theater, Kiez-Clubs: Die Initiative Oll Inklusiv kümmert sich um Menschen ab 60. Filialpate Haspa Altona unterstützt.

Bei alten Menschen geht Mitra Kassai (50) das Herz auf. „Wie anderen bei Kindern oder Katzen.“ Dass alt sein laut, bunt, kritisch und lustig sein kann und darf, zeigt sie mit Oll Inklusiv. Die vor fünf Jahren von ihr gegründete gemeinnützige Initiative bezieht Menschen ab 60 mit ein „in eine Welt, die immer noch uns allen gehört.“ Bunte Musik-Nachmittage in Clubs auf dem Kiez, Konzertbesuche, Lesungen, Rikscha-Touren. Sogar in „Wacken“ mischten sich die „Senioren und Senioritas“ schon unter das Heavy Metal-Volk.

Bei „Oll Inklusiv“ ist jeder willkommen, so wie er ist. Mit einer Ausnahme: Es gibt keinen Platz für Nazis. „Es ist schon vorgekommen, dass sich Senioren negativ gegen Menschen mit anderer Hautfarbe geäußert haben.“ Dann bleibt ihnen die Wahl: Entweder sie entschuldigen und ändern sich oder sie müssen die Gemeinschaft verlassen. Andere in ihrer Vielfalt respektieren – das ist für die Gründerin eine Lebenseinstellung und hat nicht speziell etwas mit der Initiative zu tun.

Mitras Socken tragen Botschaft: „Wir lieben Senioren & Senioritas“.

Mitra ist ein „Münchner Kindl“. Sie sei „Olympiabaujahr 1972“. Das steht zumindest in ihrem Ausweis. „Aber innerlich bin ich, glaube ich, so 16 – ich pubertiere gerade“, sagt die energiegeladene Frau mit den vielen Ideen und dem bunten Leben. Eigentlich wollte sie Streetworkerin werden, machte jedoch eine Ausbildung zur Modistin – also Hutmacherin. Dabei blieb es aber nicht. Sie stieg in die Musikbranche ein als Bandmanagerin und Tourleiterin. 1999 kam sie für ein Hip-Hop-Projekt nach Hamburg, rauschte danach nahtlos ins Management von „Fünf Sterne de luxe“. Sie machte „dies und das und jenes“ in der Musik-, Kunst- und Kulturszene. Immer am Start. Immer 100 Prozent.

Vor acht Jahren kam der Zusammenbruch. Mitra litt unter einem Burnout. Zu viel Arbeit. Zu viele Dinge, die sie eigentlich gar nicht machen wollte. „Mein damaliger Perfektionismus hat mich ins Hamsterrad getrieben.“ Dabei verlor sie ihr Innerstes. Ihre Interessen. Ihr Sein. Mitra war lange in einer Klinik. Es ist ihr wichtig, darüber zu sprechen. „Man darf dazu stehen, dass man eine psychische Erkrankung hat.“ Heute hat sie gelernt, sich um sich selber zu kümmern. Sich Auszeiten zu nehmen. „Nein“ zu sagen.

Nicht mehr alle Projekte an zunehmen. Nach wie vor verdient Mitra ihr Geld im Musik- und Kulturmanagement und arbeitet als DJ. Doch seit dem Burnout verbringt sie sehr viel mehr Zeit damit, Dinge zu tun, die ihr am Herzen liegen. Sie engagiert sich bei „Rock City e.V.“, „Viva con Agua“ und der „Millerntor Gallery“. Seit Jahren ist Mitra ehrenamtliche Betreuerin in einer Seniorenresidenz. Eine Arbeit, die sie erfüllt. Und so gründete Mitra vor fünf Jahren die Initiative „Oll Inklusiv“, in der sich mittlerweile 40 Ehrenamtliche engagieren. Ihr eigener Egoismus habe sie dahingebracht. Die Frage: „Was möchte ich selber im Alter erleben?“

Mitra mit Teilnehmerinnen der Schreibwerkstatt im Teehaus in Planten un Blomen.

Durch ihre Kontakte in die Musik- und Kultur szene stand schnell das erste Format: „Die Halbpension“. Ein bunter Sonntagnachmittag in unter schiedlichsten Clubs wie dem „Mojo“ oder „Kent“ – barrierefrei und kostenlos für alle ab 60. Das Programm startet mit einer Lesung oder einem Konzert, danach kommt das „Musik-Bingo“. „Wer die meisten Titel erraten hat, bekommt einen Eierlikör.“ Den Abschluss macht der Tanz. „Eine Seniorita hat mal gesagt, wenn sie zu Hause sind, sind sie Oma und Opa, Witwe und Witwer. Bei der Halbpension sind sie wieder Uschi, Peter oder Gerhard.“

Darüber hinaus gibt es etliche andere Angebote wie „Halbpension Ausflug“. Da geht’s auf Tour. Ob zum „Wacken Open Air“, „Bosse“-Konzert, ins Musical „Hamilton“ oder zum Graffiti-Workshop. Neben den analogen Angeboten ist auch die „Oll Inklusiv“-App von großer Bedeutung für die Senioren. Es gibt reichlich Input zum Thema „positives Altern“ und einen Chat, über den sich die Mitglieder austauschen und verabreden können. „So sind Freundschaften während der Pandemie erhalten geblieben.“ Etwa 5000 Senioren und Senioritas sind Teil der Gemeinschaft. Manche nutzen nur die App, andere besuchen die kostenlosen Veranstaltungen.

Fast alle kommen alleine, bleiben es jedoch nicht lange. „Viele Freundschaften sind bereits entstanden. Wir haben auch Pärchen, die sich bei uns kennengelernt haben. Mann Frau, Frau Frau – alles dabei“, sagt Mitra und berichtet vom ältesten Senior, einem 102-Jährigen, der bei „R‘Oll on“ mitgemacht hat – dem Rikscha-Service der Initiative. Auf einer solchen Tour, bei der Ehrenamtliche Senioren durch Hamburg fahren, hatte Mitra ein besonders bewegendes Erlebnis. Während der Pandemie holte sie eine Seniorin und deren Freund aus dem Pflegeheim ab. „Die Frau fragte, ob wir einmal in die Straße fahren können, in der sie früher gelebt hat und in der jetzt ihr Sohn wohnt.“ Dort rief sie ihren Sohn an, der gemeinsam mit ihrer Enkelin runterkam. Ein Jahr lang hatte die Seniorita ihre Enkelin nicht sehen können. Mitra zeigt ein Foto, auf dem die Frau dem Mädchen über die Wange streichelt. Eine Woche später schlief die alte Dame friedlich ein. Mitra lächelt. „Der Tod gehört bei uns jeden Tag dazu.“ Es gehe darum Momente zu schenken. Das Hier und Jetzt ist es, was zählt.

„Die Mission unterstützen wir aus vollem Herzen“

Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung. „Oll Inklusiv“ wünscht sich einen gebrauchten Transporter. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung mit Fördermitteln aus dem „Haspa LotterieSparen“. Zudem übernimmt die Filiale Altona die Patenschaft für „Oll Inklusiv“.

„Die Mission von Oll Inklusive unterstützen wir aus vollem Herzen. Auch die Haspa hat viele Angebote mit und für Senior:innen, zum Beispiel die monatlichen Einführungen ins Online-Banking in allen Filialen“, so Torsten Stallbohm von der Haspa Altona.

Von WIEBKE BROMBERG (Text)
und FLORIAN QUANDT (Fotos)