Lächelnd spaziert Alexandra Werdes (48) am Rande eines Feldes in Wedel zwischen Sträuchern umher. „Das ist das Allerschönste, wenn die Hecke gut anwächst“, sagt sie strahlend. Hecke? Klar, kennt jeder – als Kirschlorbeer oder Buchsbaum ordentlich gestutzt in Reih und Glied. Wenn Alexandra jedoch begeistert von ihrem Lieblingsthema spricht, meint sie genau das nicht. Die Frau spricht von blühenden Wildhecken – Orte, die dem Klimaschutz dienen und Lebensraum für etliche Tiere sind. Um die Wildhecken zu schützen, neue zu pflanzen und zu pflegen, hat sie den Verein „Heckenretter“ gegründet.
Sich für andere einsetzen, Verantwortung übernehmen – das hat Alexandra schon als Kind von ihren Eltern vermittelt bekommen. „Meine Hauptmotivation ist aber, dass ich die Natur liebe. Ich möchte einfach durch eine Welt laufen, in der wir uns mit der Natur verbinden können“, erklärt Alexandra. Nach ihrer Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule studierte sie Philosophie, Geographie, VWL und Politik. Sie schrieb als freie Journalistin unter anderem für „Die Zeit“, „Geo“ und die Kinder-Sachbuchreihe „Was ist Was“. „Meine Herzensthemen sind die Wunder der Natur und Menschen, die die Welt zum Besseren verändern wollen.“ Um selber auch aktiv einen Beitrag zu leisten, gründete Alexandra ihr eigenes Social Business.
„Tofte“ – ein Eis am Stiel aus Heckenfrüchten. Auf die Idee war sie 2010 während eines Sabbatjahrs gekommen. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin bereiste Alexandra die Welt. „In Brasilien waren wir so geflasht von der Vielfalt an Früchten, die wir überhaupt nicht kannten, die als tiefgekühltes Fruchtpüree transportiert wurden.“ Nach der Reise kam Alexandra die Idee, Heckenfrüchte wie Holunder, Hagebutten oder Schlehen zu Eis zu verarbeiten. 2018 brachte sie das Eis unter dem Namen „Tofte“ auf den Markt. Von dem Erlös sollten neue Wildhecken gepflanzt werden. Dafür gründete sie 2020 den gemeinnützigen Verein „Heckenretter“.
Sich in der Lebensmittelbranche durchzusetzen, war jedoch schwierig. „Ich habe gemerkt, dass wir viel schneller was schaffen können, wenn wir direkt Unternehmen fragen, ob sie Hecken mit uns pflanzen.“ Alexandra gab „Tofte“ auf. Allerdings ist die Eis-Idee nicht vom Tisch – eine Manufaktur aus Quickborn stellt in Zukunft Eis aus Heckenfrüchten her. Ein Teil der Erlöse geht an den Verein, auf den sich Alexandra seit 2021 konzentriert. Die Mission: Flächen für Hecken bei Landwirten akquirieren und Unternehmen finden, die Strauchpatenschaften übernehmen.
Gepflanzt wird mit Freiwilligen oder den Mitarbeitern der Unternehmen. Gestartet mit neun Gründungsmitgliedern, sind bei den „Heckenrettern“ mittlerweile 20 Mitstreiter aktiv, hinzu kommen 24 Fördermitglieder. Alexandra, die in Wilhelmsburg in einem Mehrgenerationen-Wohnprojekt lebt, ist bislang die einzige Hauptamtliche, die ein kleines Gehalt bekommt, neben einer Mini-Jobberin im Büro. Wenn das Budget es hergibt, werden Honorare bezahlt wie für die Programmierung der Homepage. „Wir können mit unserer Arbeit nur nachhaltig sein, wenn wir es schaffen, die notwendigen Tätigkeiten zu entlohnen. Sonst endet das in ehrenamtlicher Selbstausbeutung und nach fünf Jahren brechen alle ausgebrannt weg.“
Weggebrochen ist bisher niemand. Im Gegenteil. Es werden immer mehr Aktive. Zusätzlich gibt es etliche freiwillige Helfer, die über die „Heckenretter-Taskforce“, eine Messenger-Gruppe, unterstützen und vor allem bei den Pflanzaktionen dabei sind. Alleine im vergangenen Jahr wurden zwölf Wildhecken im Norden gepflanzt. Aktiv ist der Hamburger Verein von der Schlei bis ins nördliche Niedersachsen – insbesondere auf dem Lande. Dort ist die Hälfte der Wildhecken – oder Knicks – im Zuge der Flurbereinigung in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden. Ein Grund für das massive Insekten- und Vogelsterben, das auch in Deutschland durch die „Krefelder Studie“ belegt sei.
„Von vielen Landwirten werden die Hecken vor allem als Hindernis angesehen.“ Dabei könnten sie laut Alexandra angesichts des Klimawandels auch echte Vorteile bringen, weil sie die Feuchtigkeit auf dem Acker halten und den Boden vor Erosion schützen. „Wir wollen die Begeisterung entfachen, was für Wunder in den Wildhecken zu finden sind. Trotzdem kosten Hecken Geld und machen Arbeit. Damit kann man die Landwirte nicht alleine lassen.“
Deshalb ist es dem Verein wichtig, die vielfältige Ökosystemleistung der Hecke durch Social Media, Presseberichte, Führungen, Vorträge und vor allem bei den Pflanzaktionen und Pflegeeinsätzen in das gesellschaftliche Bewusstsein zu bringen. „Hecken binden genauso Kohlenstoff wie Wald, sie verschönern die Landschaft und vor allem fördern sie die Biodiversität“, erklärt Alexandra. Der Verein hat eine Liste von 80 verschiedenen Straucharten, die man pflanzen kann. Zudem sind die Hecken Rückzugsort für etliche Tiere. „Es wurden 7000 Arten nachgewiesen, die Hecken als Lebensraum nutzen.“ Von Ameisen über Schmetterlinge und Kröten bis hin zu Füchsen, Rehen und vor allem den vielen Vögeln, die in Hecken nisten und Alexandra besonders am Herzen liegen.
Aktuell wird ein Bildungskonzept entwickelt, um an Hamburger Schulen gehen zu können. „Es soll nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern es soll auch aufs Feld gehen. Wenn Wissen sich mit dem eigenen Erleben verknüpft, können wir wirklich etwas verändern“, sagt Alexandra strahlend. Keine Frage, Alexandra liebt, was sie tut. Aber es gibt auch Momente der Unsicherheit. Nicht zu wissen, ob der Verein und damit auch die eigene Existenz langfristig finanziert werden kann, zehrt manchmal an den Nerven.
„Meine Partnerin ist Sozialpädagogin und könnte mich auch nicht auffangen.“ Weiterhin als Journalistin zu arbeiten, ging für Alexandra nicht. Zu viel kreative Kopfarbeit. Mit Nebenjobs als Rettungsschwimmerin oder Aushilfe im Buchladen hat sie sich eine Weile über Wasser gehalten. Aber auch damit ist seit Anfang des Jahres Schluss. Ihre ganze Energie setzt sie in die Heckenretter – ihr Herzensprojekt, das sie begeistert und für das sie unbedingt auch andere begeistern will.
Freischneider für die Pflege der Wildhecken
Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung.
„Die Heckenretter“ wünschen sich mit Akku betriebene Freischneider, um die Hecken besser pflegen zu können. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung mit Fördermitteln aus dem „Haspa LotterieSparen“. Darüber hinaus wird die Haspa Isestraße Filialpate. „Die Heckenretter leisten wichtige Arbeit. Das wollen wir unterstützen und dazu beitragen, dass das Projekt noch bekannter und schlagkräftiger wird“, sagt Filialleiterin Sabine Holtmeier.